Donnerstag, 18. September 2008

Kinder


Wenn das deutsche Durchschnittspaar 1,4 Kinder hat, heißt das wohl - da ich wenig knapp halbe Kinder kenne und auf dem Spielplatz vorwiegend entzückende Geschwisterpärchen zu beobachten sind, erst ein rosa, dann ein blaues Kind, oder umgekehrt, und wenige mit zwei oder mehr Geschwistern -, dass es sehr viele Einzelkinder gibt. Ich bin mit einem solchen verheiratet, das allerdings aus einem Land kommt, in dem ein Einzelkind ein naher Verwandter des Einhorns sein muss, zumindest was die Verbreitung angeht, und so richtig geplant war das wohl auch nicht. Er meint, das sei nicht schlimm, er hätte niemanden vermisst, aber so wie er sich um seine Freunde kümmert, ein Hütehund, der die Herde zusammenhält, so wie er sich in seine Ersatzfamilien integriert hat mit seinen Leihbrüdern, so denke ich doch, hätte er sie gehabt, den Bruder, die Schwester, er wüsste schon, was ihm fehlt.
Seine Mutter ist dafür die Jüngste von zwölf, und ein Glück, dass die Eltern so lange ausgehalten haben, denn was wäre sonst mit dem Einzelkind an meiner Seite und dem Wesen von 14 cm in meinem Bauch.
Heute waren wir auf einer Beerdigung, und wenn es außer der sowieso oft von mir gehaltenen Plädoyers für Geschwister noch einen guten Grund für mehr als ein Kind gebraucht hätte, dann mag der Anblick der Tochter der Verstorbenen genügt haben, sich Brüder und Schwestern für sein Einzelkind oder sein Erstgeborenes zu wünschen.
Die Frau, der die Trauerfeier galt, war nicht alt, sie lebte seit über 20 Jahren von ihrem Mann getrennt, hatte nach der Trennung damals ihre kleine Tochter mit nach Deutschland genommen und sie hier alleine aufgezogen. Vielleicht wollte sie mehr Kinder haben, aber dann kam die Trennung dazwischen, vielleicht wollte sie auch nur dieses eine, die Herzenstochter, weil es ihr selbst mit sechs Kindern zu Hause viel zu viel war, ich weiß es nicht, ich werde es auch nie erfahren. Gestorben ist sie nun wieder in dem Land, wo ihr Mann lebte und wo das Kind geboren wurde, ihr Herz hat einfach aufgehört zu schlagen, eine Woche, nachdem sie dort noch einmal neu anfangen wollte.
Die Tochter ist jung und schön, enthusiastisch und stark. Und selten habe ich einen Menschen gesehen, der inmitten anderer so alleine war wie diese junge Frau. Die Traueranzeige war nur von ihr unterschrieben, im Gottesdienst sprach der Pastor außer ihrer toten Mutter nur sie mit Namen an, neben ihr saßen wohl die Onkel und Tanten, doch sie ging als erste und allein den Mittelgang der Kapelle hinunter, schluchzend und das Gesicht rotfleckig. Auf dem Vorplatz stand sie mit Abstand zu Familie und Freunden, die sich alle gegenseitig hielten, und erwartete die Kondolenzen, alle umarmten sie, nur sie, denn wer zur Familie gehörte, war dort nicht mehr zu erkennen, zwischendurch stand sie mit hängenden Schultern, allein in der Septembersonne. Mehr als um den frühen Tod der Frau, die beerdigt wurde, habe ich heute um die Einsamkeit ihrer Tochter geweint.


2 Kommentare:

  1. Ich habe früher immer gedacht, ich will mindestens zwei, wer weiß, ob einem einzelnen mal was passiert. Jetzt ist schon so viel passiert, und das hat irgendwie auch viel Zeit fürs Planen aufgefressen. Aber Geschichten wie die, die Du gerade aufgeschrieben hast, gehen mir auch immer sehr nahe, und so selten sind sie leider nicht.

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  2. Ihr habt wirklich so viel mitgemacht, das würde und sollte für mehrere Kinder und Generationen reichen.

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