Sonntag, 28. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [14]


Tag 14, Sonntag, 28. Februar 2010: San Telmo. Die Händler auf Plaza Dorego packen gegen Abend ihre Sachen zusammen.

Wir suchen weiterhin eine Wohnung. Auch beim 8. Mal Südamerika unterlaufen einem noch Fehler in den Grundlagen, wenn als Ausrichtung "Norden" angegeben ist, denke ich jedesmal, schade, etwas dunkel wird das sein. Ist natürlich auf der Südhalbkugel Blödsinn.

Trotzdem haben wir aber heute Nachmittag einen Ausflug nach San Telmo gemacht. Das alte Viertel platzt vor Touristen aus allen Nähten; der vor vier Jahren noch um die Plaza Dorego konzentrierte Antiquitätenmarkt wuchert nun als Kunsthandwerksmarkt bis zur Plaza de Mayo, und es sind wahnsinnig viele Menschen unterwegs. Ich habe ähnlich viele Fotos und eine viel zu große "engere Auswahl", Glück gehabt mit Schmetterlingen auf alten Sifóns und ähnlichem, bin aber heute zu unkonzentriert und bedrückt, um sorgfältig auszusuchen. Vielleicht gibt es die Tage mal eine Auswahl Marktbilder.

In Chile den ganzen Tag über heftige Nachbeben, mehrere hatten über Stärke 6. Nach offiziellen Angaben inzwischen 708 Tote, in Concepción, der am stärksten betroffenen Stadt, sind Menschen unter Hochhäusern verschüttet, noch kann man sie hören.
Von meinen Leuten bis zum Abend nichts gehört, jetzt erfahre ich indirekt zumindest von dem Freund etwas, den ich Mittwoch besuchen wollte. Auf Facebook scheinen sie in manchen Gegenden zugreifen zu können, auf Mails nicht und Telefon funktioniert auch nicht, also suche ich nach vielen vergeblichen Anrufen über Percantos Facebook-Account nach Jorge. Er hat heute eine Nachricht geschrieben, lebt also, das beruhigt mich, allerdings erschüttert mich seine kurze Nachricht selbst um so mehr. Es ist eigentlich ein Aufruf, er sucht seine beiden jüngsten Söhne, Flavio (6) und Ramiro (4), die mit ihrer Mutter in Concepción sind. Ausgerechnet in Concepción! Ich hoffe so sehr, dass es den Kindern gut geht, und bin sehr besorgt. Jorge muss im Moment durch die Hölle gehen.

Samstag, 27. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [13]


Tag 13, Samstag, 27. Februar 2010. Fußball auf der Plaza "Las Heras", Palermo.

Kein guter Tag, sehr unruhig in jeder Hinsicht. Wir suchen dringend eine neue Unterkunft, da es mit der verletzten Großmutter und dem psychisch instabilen jüngsten Sohn, der es schwer verkraftet, keinen eigenen Schlafplatz mehr zu haben, einfach zu eng ist in der Wohnung. Zwei Nächte im Dienstbotenzimmer reichen eigentlich auch, nur ist es nicht so einfach, am Wochenende eine möblierte und bezahlbare Wohnung für Drei in halbwegs vernünftiger (sicherer, nicht allzu ferner) Lage zu finden. Wir sollen morgen oder "notfalls auch Montag" umziehen und sind jetzt erst mal beim mittleren Sohn, der übers Wochenende weg ist. Also den Tag im wesentlichen im Internet und am Telefon verbracht - und vor dem Fernseher, Nachrichten aus Chile gucken.
Es ist furchtbar, inzwischen liegen die offiziellen Zahlen bei 214 Todesopfern. Die Bilder wiederholen sich, die Nachbeben leider auch. Ein Seismologe meinte, das Beben sei 50 Mal so heftig gewesen wie das in Haiti. Die Angaben zur Stärke variieren von 8,3 bis 8,8, anscheinend differenzieren aber auch zwischen der Stärke in Santiago und beim Epizentrum. Beides ist unfassbar viel. (Das stärkste Erdbeben, was ich in Peru erlebt habe, lag bei 5,9,und dauerte keine ganze Minute, und das langte wirklich, um Angst zu haben.)
Von meinen Freunden und meinem Dichter weiß ich immer noch nichts, ich gehe aber gleich noch mal ins Locutorio, einen weiteren Anruf versuchen.
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Nachdem wir vorübergehend bei Andi eingezogen sind, waren wir mit dem ebenfalls unruhigen Baby B wenigstens noch schaukeln, auf der Plaza de Las Heras hier in Palermo entstand das Bild. Das ist der berühmte Straßenfußball, der Fußball "de las Plazas". Im Hintergrund spielen hinter Maschendraht auf mehreren, wie Tennisplätzen nebeneinaner liegenden Feldern die Erwachsenen. Und am 3. März spielt Argentinien gegen Deutschland.
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In der Wohnung, wo wir zwischengelagert sind, wieder eine Katze. Mein Organismus wehrt sich heftig dagegen, Katze einzuatmen.
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Ich gehe nochmal telefonieren, hoffentlich geht es allen gut.

Erbebenmeldung

Liebe alle,
ganz kurz wegen der besorgten Nachfragen: Ich bin noch in Argentinien, hier in Buenos Aires haben wir von dem Erdbeben nichts oder wenig bis nichts gemerkt. Die Reise fällt wohl aus, mit meinen Freunden in Chile hab ich noch keinen Kontakt bekommen, ich weiß noch nicht, wie es ihnen geht.
Hier vor Ort aber kein direktes Erdbeben-Problem.

Freitag, 26. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [12]

Tag 12, Freitag, 27. Februar 2010: Der zukünftige Präsident Argentiniens, Señor Presidente Pedro.

Ich darf Ihnen den zukünftigen Señor Presidente der Republik Argentinien vorstellen, bisher noch Pedro oder auch "der Verrückte von der Ecke". Cada loco con su cuento. Jeder Verrückte mit seiner Geschichte. Das hohe Staatsamt kann man unschwer an der Präsidentenschärpe und einigen Medaillen erkennen, andere historische Vorbilder sind ebenfall in Haltung und Kopfbedeckung eindeutig. Das Cape rundet das Bild ab, unter dem Hut trägt Pedro ein Kopftuch wie das von Zorro, das auch den Zopf zusammenhält. Außerdem trägt er stilsicher Stiefel und eine gelb getönte Motorradbrille und sitzt auf seinem "caballo eléctrico", elektrischem Pferd, auch "moto musical" genannt, Musikmotorrad, denn auf dem Sozius ist eine kleine Musikanlage installiert, den Lautsprecher sehen Sie. Vollständig aber erst, wie er mir erklärte, mit Schirm. Voilà.

Diesen Herrn traf ich keine zwei Cuadras von der Tantenwohnung entfernt vor einem edlen Herrenausstatter, er zeigte mir, nachdem ich ihn angesprochen hatte, dort mit einem verschwörerisch auf die Lippen gelegten Zeigefinger und großen Gesten Lederschuhe und graue Anzüge und führte mir schließlich sein elektrisches Pferd vor.
Baby B lernte derweil von den Verkäufern viele Synonyme für "loco".
Ich habe seinen Namen und Mail-Adresse, wegen der Präsidentschaft wisse ich ja nun bescheid, und wenn er mal nicht im Laden sei, wo er wohne, soll ich nach Viviana fragen. Das gilt auch für Sie.

*

Auf Santa Fe steht ein älteres Ehepaar neben mir an der Ampel, der müde B ist gerade in der Karre eingeschlafen. Die Frau guckt mich an und sagt dabei in ziemlich vorwurfsvollen Ton zu ihrem Mann "guck, der schläft da". Auf Deutsch. "Ja, und?" sage ich, und die Frau lächelt mich an, spricht aber weiter mit ihrem Mann. "Guck Dir mal die Reifen an. Solche großen Räder haben die hier an ihren Kinderwagen." Ich lächele sie ebenfalls an und sage, weiterhin auf Deutsch: "Ja, große Räder, aber der Kinderwagen ist mitsamt Rädern aus Deutschland, der ist schneetauglich."
Die Frau lächelt mich verbindlich an und schüttelt ein bisschen den Kopf. Irgendwie scheint sie bis zum Schluss nicht gemerkt zu haben, dass ich sie verstehe. Im Gedrängel auf der Santa Fe kommen wir an Ampeln oder engen Stellen immer wieder nebeneinander zu stehen, und sie guckt jedes Mal mit leichtem Vorwurf das schlafende Kind und dann stirnrunzelnd mich an. Cada loco con su cuento.

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Wir suchen eine Bleibe für die nächsten vier Wochen, sofort, ich versuche hier trotzdem tagesaktuell zu schreiben.

Donnerstag, 25. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [11]



Tag 11, Donnerstag, 25. Februar 2010: Friedhof Recoleta.

Recoleta ist neben Chacarita der berühmteste Friedhof der Stadt, und es ist eine eigene kleine Stadt mitten im gutbürgerlichen Viertel Recoleta. Eine Stadt der Toten und der Engel, die Toten wohnen unten in den Mausoleen, die Engel oben auf den Dächern. In den Mausoleen stehen die Särge zum Teil im Keller, zum Teil auf Augenhöhe in Regalen, unter Altaren, unter Spitzendeckchen verborgen oder ganz offen der Gittertür. Manchmal stehen die großen Särge im Untergeschoss, und oben steht ein furchtbar kleiner. Außen an den Wänden sind die Namen der Familien eingemeißelt, der einzelnen Toten, und es sind Metall-Plaketten mit Liebesschwüren und Erinnerungen angebracht. Die meisten Mausoleen scheinen Tote aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu bergen, ihre Fotos zeigen sie bei ihren Hochzeiten, als steifes Portrait oder ihren Leichenzug. Manche Nischen sind verfallen und voller Müll, "Pax Eterna" steht über einem Haufen Plastikflaschen hinter Gittern und zerbrochenen Scheiben. Einzelne Pflanzen haben sich den Weg gebahnt und umranken die Särge und Kruzifixe, die Vasten auf den kleinen Altären sind längst leer, andere Familiengruften sind auf Hochglanz poliert, an einem Mausoleum mit blitzenden Scheiben drehte sich eine Klimaanlage. Es gibt Mausoleen, wo die Türen aufgebrochen sind und man die Stufen zu den Särgen hinabsteigen könnte, in anderen liegen zwar welke, aber doch immerhin Blumen, andere werden von den Wächtern gepflegt, da dort Familien ruhen, die in den Reiseführen auftauchen und wo die Friedhofsführungen Halt machen. Auch Evita (um die Argentinien nicht weinen soll) liegt hier. In den Gassen sonnen sich Katzen, bei der Statue eines betenden Kindes, die von blühenden Sträuchern überwuchert war, stand auf einmal sirrend ein Kolibri im Licht. Einige Dachsimse tragen streng blickende Büsten der Verstorbenen, andere Kreuze oder steinere Flammen. Das schönste am Friedhof aber sind die Statuen, die zahllosen Engel und Madonnen auf den Dächern der Mausoleen. Sie sind ja wohl wegen der Toten da, aber auf ihren Kuppeln balancierend scheinen sie doch ganz in ihrer eigenen Welt zu bleiben, über die Sterblichen, auf deren letzten Häusern sie stehen, und über uns Touristen erhaben. Nach zwei Stunden unter Engeln frage ich mich, wann sie die Arme zu uns auf der Erde herabgesenkt haben und wann sie einen Arm, eine geöffnete Hand energisch in die Luft werfen, als wollten sie sagen, "heppa, hoch mit Dir, Toter, auf den Himmel, hopp...". Einige ruhen aufgestützt, manche haben Hängeflügel, andere scheinen gerade von einer Wolke zu fallen. Einer weint schwarze Tränen, anderen wachsen Heiligenscheine aus Gras. Ein Engel hält eine Frauenfigur vor dem Bauch und zieht sie nach oben, ein bisschen erinnern die beiden mich an die Plakat-Szene aus "Titanic". Meine Lieblingsstatue aber ist eine Figur ohne Flügel, eine weiße marmorne Jugenstilstatue am Mausoleum von "Rufina Cambaceres", die ganz sanft die Tür aufschiebt (oder zuzieht?), wunderschön. Ich liebe sie schon lange und bin auch heute zuerst zu ihr gegangen.
Da ich mich zwischen all meinen Engeln heute nicht entscheiden konnte, gibt es die sanfte Jugendstildame und eine größere Auswahl weiterer Figuren auf Flickr, den Link setze ich morgen separat rein - heute habe ich einige Schwierigkeiten mit der Stromversorgung und kann keine Bilder mehr hochladen, auch keine geflügelten.

Es wird Zeit, dass ich das Thema wechsel, gestern die grausigen Fotos in der Ausstellung, vorgestern die Verschwunden, heute Friedhof. Zu viele Tote.
Im realen Leben hier allerdings auch ein paar Schwierigkeiten, die Mutter der Tante ist gestern gestürzt und hat sich den Oberarm gebrochen. Zum Glück muss sie nicht operiert werden, aber schön ist das nicht mit 84 Jahren, zumal sie nach der Beerdigung ihrer Schwester am Freitag ziemlich angegriffen ist. Sie wohnt nun auch hier, in dem Zimmer, wo bisher wir untergebracht waren, wir sind erst mal zu dritt ins winzige alte Dienstbotenkabuff gezogen, wo nun wegen der Matratze auf dem Boden die Tür nicht mehr aufgeht, und der jüngste Sohn schläft im Sprechzimmer. Auf Dauer werden wir wohl eine andere Lösung finden müssen. Die "Abuelita Angelita" (irgendwie passt dann doch immer alles zusammen) ist eine so reizende Person, tapfer und eigentlich ganz fröhlich und redselig. Neben den Schmerzen und der Sorge ärgert sie sich nun, dass sie die letzten Tage Freibad und das Abschlussfest ihrer Ferien-Kolonie mit ihren "Chicas" verpasst. Aber die Chicas, ihre 70- bis 94-jährigen Freundinnen, werden sie nun hier besuchen kommen. Was natürlich nicht das gleiche ist wie ein Picknick im Freibad, aber sie ist, wie gesagt, sehr tapfer.

*

Link zu Flickr: Engel

Einwurf: Political correctness

"Mohrenköpfe" sollen nicht mehr "Mohrenköpfe" heißen, und Negerküsse soll man sie auch nicht nennen, weil das diskriminiert?
Sagen Sie denn "stark pigmentierte Süßigkeit"? Oder ganz offiziell "Schaumküsse"?
Entspannen Sie sich. Den Kameraden hier habe ich heute mit einer Gruppe seiner Kumpel in einer Konditorei getroffen, auf einem kleinen Pappschild waren sie mit "CAMERUN" ausgezeichnet, eine Clique Kameruner also.
Diesen Kameruner mit seinen rosa Schlauchbootlippen und dem Zucker-Krisselhaar very pc "Schaumkuss" zu nennen, wäre viellicht etwas albern.

Mittwoch, 24. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [10]


Tag 10, Mittwoch, 24. Februar 2010. "Torre de los ingleses", Retiro.
Stadtrand zum Wasser hin: Hinter dem "Turm der Engländer" sieht man Kräne des Hafens, links ist der alte Bahnhof Retiro, rechts runter eine Strecke Bürotürme bis zur Plaza de Mayo, im Rücken liegt die Plaza San Martin.
Heute leider nur ein Touristenfoto, viele Bilder, aber außer einer sehr, sehr langen Menschenschlagen unter einer argentinischen Fahne (sie standen anscheinend um einen kompletten Häuserblock herum bei einer Bank an, aber warum abends um halb 7?) nur Postkartenmotive. Postkartenmotive sind völlig in Ordnung, aber ein bisschen flach und frustrierend, wenn man gerade aus einer beeindruckenden, aufwühlenden Foto-Ausstellung kommt: "Laberinto de Miradas. Fricciones y conflictos en Iberoamerica." Dokumentarische Fotografien aus diversen lateinamerikanischen Ländern, ich stand ziemlich fassungslos vor einem Foto von Patricia Arijidis, eine schwarz-weiß Aufnahme aus einem Frauengefängnis in Paraguay, auf welchem die Gefangene durch die Gitterstäbe hindurch ihr in einem Hochstühlchen außerhalb der Zelle sitzendes Kleinkind füttert. Auf andere Art grausam die Bilder von Sandra Sebastián aus Guatemala, nackte Gewalt, Blut, Kinderturnschuhe unter Laken. Die Ansätze waren sehr vielfältig, neben Slums und Gefängnissen, Friedhöfen und Treibjagd zum Beispiel eine Dokumentation von Gittern im Alltag (sich selbst hinter Schutzgittern einsperrende Leute in Argentinien von Sebastián Friedman), eine Hexe in Mexiko (Maya Goded) oder die Suche nach Verschwundenen (Miguel Dewever). Ich bin immer noch beeindruckt, ähnlich wie bei der Ausstellung zum World-Press-Award. Der Link zeigt unter "Exposiciones" und dann im mittleren Ausstellungsfeld alle oder die meisten der heute gesehenen Fotos, man kann sie auch großklicken.
Am Ende aller drei Ausstellungen soll ein auch in Europa erhältlicher Katalog erscheinen. Merk ich mir vor. Gerade sehe ich, dass es ein Begleitseminar zur Ausstellung gab, Praxis der Dokumentarfotografie. Vorbei, schade!

Apropos verpasst: Mein Tourifoto wäre 3 Minuten eher immerhin deutlich besser geworden, aber ich hatte die Kamera noch in der Tasche, als die Boeing in einer Landeschleife unmittelbar hinter dem Turm vorbeikurvte. (Tipp #1 für die Dokumentarfotografie: Nicht auf die Leute hören, die sagen, bloß nicht mit sichtbarer Kamera herumlaufen. Immer griffbereit halten!) Schade, zudem wäre das noch eine Überleitung zum anderen Thema geworden: Ich habe heute Flugtickets nach Chile gekauft, nächsten Mittwoch gehts mit Baby B für eine Woche ans Meer. Wie ich das dann hier mache, werde ich noch sehen, vielleicht gibt es ein paar Tage argentinische Konserven und dafür zusätzlich chilenischen Frischfisch.

Dienstag, 23. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [9]


Tag 9, 23. Februar 2010: "Magic". Drei parallele Welten, horizontal. Avenida Santa Fe.

Heute bin ich stundenlang herumgelaufen, erst auf dem Spielplatz mit einem laufenlernenden Kind, dann auf der Suche nach einem neuen UV-Filter für die Kamera erst in die falsche Richtung gegangen, dann - nach Erfolg in einem echten Geheimtipp, der Laden in einem Wohnhaus versteckt, auf Anfrage wurde ich vom Portier hingerbacht - einen sehr großen Spazierrundgang mit der Karre gemacht. Und gut 150 Fotos. Heute sah es lange nach einem Fleischfoto aus, denn wir waren mittags mit Baby Bs Großmutter an einer Parrilla, einem Grill also, große Stücke Rind mit Ensalada Rusa essen.
Die Mädchen in der mittleren Etage des Bildes trinken übrigens Mate, dazu wird es nochmal einen extra Eintrag geben. Und an den schwarz-gelben Taxis erkennt man, dass wir in Buenos Aires sind.
Nachdem ich vorhin über meine Erlebnisse mit Demonstrationen in Buenos Aires schrieb, bin ich prompt in eine kleinere geraten, auf der Straße war vor allem die Vereinigung der Prostituierten und Frauenrechtler, die in erster Linie Freiheit für ein junges Mädchen forderten, Romina Tejerina. Sie wurde fast noch als Kind vergewaltigt, wurde schwanger, bekam das Kind alleine zu Hause und brachte es direkt nach der Geburt um, sie ist heute etwa 17 Jahre alt und sitzt noch im Gefängnis. Außer Freiheit für Romina forderten die Demonstrantinnen vor allem, soweit ich das auf den Schildern und aus den Gesängen erkennen konnte, das Recht auf Abtreibung.
Keine zwei Ecken weiter sprach mich ein Herr in Anzug und Krawatte auf Baby B an, wie freundlich, wie niedlich, wir unterhielten uns auf dem Weg über die Straße, dann kam die übliche Frage, wo ich herkomme. Aus Deutschland, der Herr war dann sehr interessiert und fragte mich direkt nach Möglichkeiten, ein Kind aus Deutschland zu adoptieren. Er und seine Frau wollten ein Kind adoptieren, aber das sei hier schwierig, sie hätten nun Deutschland ins Auge gefasst, vielleicht Polen. Wir haben uns dann für ein oder zwei weitere Cuadras (Straßenzüge, manzanas, Häuserblöcke, die Längeneinheit schlechthin innerhalb von Städten) über das Adoptionsrecht und unterschiedliche Chancen und Bedingungen unterhalten. Ich habe ihm keine Hoffnung für ein deutsches Baby gemacht, er bat mich trotzdem, mir seine Visitenkarte und Mail geben zu dürfen, falls ich mal von einer Familie höre, die ein Kind zur Adoption freigeben wollten. Er klang ein bisschen verzweifelt.
Zufällig hatten wir ein ähnliches Gespräch gestern Abend hier zu Hause, so dass ich ein bisschen über das argentinische Recht informiert bin. Wegen der Vorfälle während der Militärdikatur ist hier inzwischen offene Adoption Pflicht, die Namen aller Beteiligten sind immer bekannt, und es sei auch üblich, die Kinder von vornherein über ihren Status zu informieren.
In meiner Generation war das anders, und die Offenheit heute ist wichtig: Während der Diktatur verschwanden etwa 30.000 Menschen, und die Wunden sind noch offen. Die weltweit bekannten Mütter der Plaza de Mayo setzten sich zunächst dafür ein, dass die Verschwundenen lebend wieder auftauchen sollten. Bald 30 Jahre nach Ende der Diktatur haben sich die Forderungen (vereinfacht gesagt) dahin verschoben, dass man zumindest wissen möchte, was mit den Entführten und Getöteten passiert ist und wo die Leichen zu finden sind. Außerdem gibt es die Suche der Abuelas, der Großmütter, nach den Enkeln - und die korrespondierende Vereinigung Hijos (Kinder / Söhne). Diese beiden gründen sich auf einem der für mich furchbarsten Aspekte innerhalb der sowieso schon unfassbaren Mord- und Foltergeschichte dieses Militärregimes. Mütter von kleinen Kindern wurden oft mit ihren Kindern zusammen mitgenommen und inhaftiert, und schwangere Frauen haben ihre Babys in den Foltergefängnissen bekommen. Die Frauen (und die dazugehörenden Männer und Väter) wurden meist umgebracht, und die Kinder und Neugeborenen wurden von Militärs oder von Paaren, die den Militärs nahestanden, die regimekonform waren und die um diese Möglichkeit wussten, was schon genug sagt, adoptiert. Die Kinder wuchsen also bei den Mördern ihrer Eltern auf und hielten diese für ihre eigentliche Familie.

Die Abuelas haben eine DNA-Datenbank angelegt, wo sich junge Menschen, die den Verdacht haben, auf diese Art adoptiert worden zu sein, testen lassen können. Das Wissen um die Existenz dieser Zwangsadoptionen hat in meiner Generation auch zur Folge gehabt, dass die meisten irgendwann ernsthaft hinterfragt haben, ob sie wirklich die Kinder ihrer Eltern sind. Selbst in unserer Familie hier, die politisch verfolgt wurde und als Teil des Widerstands sogar in den heutigen Geschichtsbüchern auftaucht, haben die älteren Söhnen diese Zweifel eine Zeit lang gehegt und mit ihren Eltern ausdiskutiert. Es reichte, dass es von der Schwangerschaft kein Foto gab, um in eine existentielle Krise zu stürzen. Die Folgen bei den Adoptivkindern, bei denen sich der Verdacht bewahrheitet, sind sehr unterschiedlich. Es gibt die glückliche Wiedervereinigung mit der Herkunftsfamilie (bei der natürlich immer ein Teil, die Kinder der Alten und die Eltern der nun jungen Erwachsenen, fehlt), die Annahme des eigentlichen, des alten Namens, die Versuche, mit der neuen Identität eins zu werden. Nicht alle können oder wollen diesen durch die neue Identität implizierten Bruch mit dem alten Leben und mit den als solche erlebten Eltern vollziehen, und so gibt es auch einige Fälle, wo die Kinder sich letztlich weigern, diese neue Wahrheit als ihre anzunehmen, und die ganz in ihrem bisherigen Leben bleiben, nicht die Familie und das politische Lager mit dem Namen wechseln. Sie sind ja mit einer politischen Ideologie aufgewachsen und sollen plötzlich zu den anderen, zu den Gegnern und Opfern gehören. Und natürlich gibt es auch Mittelwege, junge Menschen, die zwar ihre gewohnten Namen behalten, aber doch Kontakt mit den wiedergefundenen Großeltern, Tanten, Cousins pflegen. (Ich glaube, es gab in Deutschland mal eine Geo-Reportage über zwei junge Frauen in so einer Situation.)
Eine Situation, bei der mich schon der Versuch, mich in die Lage dieser Menschen zu denken, schier zerreißt.

Heute Abend kam dann zufällig in den Nachrichten ein Beitrag über einen jungen Mann, der als 101. "hijo" von den Großmütter der Plaza de Mayo identifiziert wurde und der nun, mit Mitte 30, von seiner alternativen Lebensgeschichte und seinen eigentlichen Eltern - deren Namen in den Nachrichten genannt wurden - erfahren hat. Heute hat er seinen Großvater kennengelernt. Die Filmaufnahmen zeigten einen schmalen Mann, der breit lächelnd, aber ziemlich gefasst im Büro der Madres durch die Menge der anderen Mütter und Großmütter geschoben wurde, alle streichelten ihn, klopften ihm auf die Schultern, reichten ihn sicher in Gedanken an ihre vermissten Kinder und Enkel weiter, bis er in der Mitte des Raumes bei seinem Großvater ankam, der ihn umarmte und dann seine Hand wie die eines Box-Sieger hochriss. Sie haben alle nicht geweint, ich dagegen Rotz und Wasser.

Fotografenherzkasper

Fotografieren ist ja eine aufregende Angelegenheit. Víctor meinte gestern, Fotografen brauchten viel Geduld - bestimmt, ganz sicher sogar: Meine erste richtige Kamera kaufte ich mir mit ungefähr 15 und verbrachte dann einen ganzen Tag unseres Dänemarkurlaubs in einem Tümpel stehend, Kamera im Anschlag, weil ich einen dieser Frösche fotografieren wollte. Ich war sehr geduldig, sehr. Mit meiner zweiten richtigen Kamera (der Contax) sind mir dann einige der ersehnten Goldaugen-Froschbilder gelungen, Froschgesichter in Nahaufnahme, Frosch an Seerose, Frosch an Frosch. Die Geduld hat sich ausgezahlt, ich musste nur 18 Jahre warten.
Es geht aber auch mit ein bisschen mehr Action, man muss auch gute Nerven haben und sich schnell entscheiden können. Als ich 2001/02 hier war und nachts die Demonstranten fotografierte, die einen Präsidenten nach dem anderen stürzten, hatte ich meinen Eltern versprechen müssen, nicht nachts rauszugehen, nicht an den Protesten teilzunehmen. Beinahe hätte mich eine Fernsehkamera internationaler Nachrichtenkanäle verraten, in deren Bild ich von der Balustrade gesprungen bin, von der aus ich einen guten Überblick hatte, außerdem war die Szene an dieser Stelle auch nachts gegen 4 bestens ausgeleuchtet. Ich musste es meiner Familie dann beichten, bevor sie mich eventuell in den Abendnachrichten sähen, die in jenen Wochen täglich einen Beitrag über den Aufruhr in Buenos Aires hatte. Aber das Foto ist gut geworden, die Demonstranten gehören zu meinen Lieblingsserien. Über ein verpasstes Foto kann ich mich tagelang, wochenlang, jahrelang ärgern. Gestern habe ich ganz ohne Gefahr für Leib und Leben einen Augenblick zu lang gezögert, sonst wäre das "Foto des Tages" vielleicht eine dunkellockige Schönheit geworden, die wegen des Wetter über ihrer Jeans knallrote Gummistiefel trug, einen ebenso roten Schal und roten Lippenstift. Sie sah umwerfend aus, aber kaum ich hatte mich entschlossen, sie zu fragen, ob ich das Foto machen dürfte, war ich von Baby B abgelenkt und die Frau schon zwischen so vielen anderen Passanten, dass der Moment vorbei war.
Einen kleinen Herzkasper hatte ich allerdings heute ganz ohne Motiv vor Augen, als ich mit Kind und Kamera über der Schulter jonglierte und mir eines von beiden abzurutschen drohte. Das Geräusch eines Objektivs auf der Kante eines Metalltischs ist nicht schön. Gar nicht. Das eines fallenden Kindes allerdings auch nicht. Und so war die beste Investition der letzten Wochen sicherlich der UV-Filter, dessen Glas am Rand nun gesplittert ist, aber das Objektiv selbst, das gute Stück, hat nichts abgekommen. Uff.
Es geht also weiter mit Fotos an dieser Stelle.

Montag, 22. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [8]


Tag 8, Montag, 22. Februar 2010: Es regnet weiter. Terrasse des Einkaufszentrums "Alto Palermo".

Sonntag, 21. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [7]


Tag 7, Sonntag, 21. Februar 2010: Confitería "El Olmo" (Die Ulme), Ecke Av. Santa Fe und Av. Pueyrredón.
Sonntag mit gelegentlichem Nieselregen und leichtem Wind, 23°. Baby B und ich stehen auf, als Percanto vom Tango nach Hause kommt, der Rest der Wohnung schläft, der Rest des Viertels schläft, der Rest der Stadt schläft. Nicht die ganze, aber als wir am frühen Vormittag das Haus zu einem ausgedehnten Spaziergang verlassen, sind die noch feuchten Straßen fast leer, manchmal kommt ein Taxi vorbei, manchmal ein Bus, einzelne Leute mit Hunden oder Tüten vom Bäcker, und in einigen Hauseingängen schlafen Obdachlose. Die gab es kaum, als ich 2001 das erste Mal in Buenos Aires war, mit der großen Krise Ende 2001 / 2002 ist die Armut gewaltig gewachsen und wurde sichtbar. Kaum eine der vielen Bars und Cafés in den Seitenstraßen ist am frühen Sonntagvormittag geöffnet, aber nach gegen 11 werden sie Straßen belebter und wir nehmen die Confitería El Olmo an der großen Avenida Santa Fe als Wendepunkt unseres Spaziergangs. Es ist eines der Cafés, die noch nach altem Porteño-Stil eingerichtet sind und den Kaffee auf traditionelle Art und Weise servieren. Die Kellner tragen alle weiße Hemden, schwarze Hosen, schwarze Westen und schwarze Fliege, wahrscheinlich werden sie - wie von der Besitzerin des Traditions-Cafés "La Giralda" - auch beim Nachnamen gerufen. Das Café ist mit kleinen Tischen für zwei oder drei Personen vollgestellt, der Haupteingang ist wie bei den vielen Ecklokalen hier an der abgeflachten Ecke. Die breiten Fenster gehen bis auf Tischhöhe und sind zweigeteilt, jetzt im Sommer ist die untere Scheibe herausgenommen oder hochgeschoben, so dass man direkt am Bürgersteig sitzt. Zum Klassiker "Café con leche con medialunas" - "medilunas", Halbmonde, sind kleine, etwas kompaktere und süße Croissants, normalerweise "de manteca", also mit Butter gebacken, in der dünnen Variante "de grasa" mit Öl - gibt es ein Kännchen Wasser, Zucker und auf einem separaten Tellerchen einen Keks oder ein, zwei Bonbons oder beides. Die heiße Milch für den Kaffee wird am Tisch aus einem etwas größeren Metallkännchen eingeschenkt, der Gast bestimmt die Menge. Da die größte Einwanderergruppe in Argentinien Italiener waren, prägten sie einen guten Teil der Ess-und Café-Kultur, diese mischt sich allerdings mit den spanischen Gepflogenheiten und denen der anderen Einwanderer aus Osteuropa, dem Mittelmeerraum, arabischen Ländern. In manchen Cafés wird außer den genannten Utensilien (und Servietten und Zahnstochern) auch Zimt zum Kaffee gereicht, so steht schnell das ganze Tischchen voll, wenn man "café" bestellt. Man kombiniert, was sich in den Herkunftskulturen bewährt hat ,und pflegt es.
Hier in der Tantenfamilie - unmittelbare Herkunftsländer mehrfach Italien, dazu Kroatien, Polen, Ukraine - wird allerdings keine besondere Esskultur gepflegt, jeder muss eine andere Diät halten (zwei ohne Salz, einer ohne Carbohydrate, außerdem muss man natürlich auf die Figur achten) und die Tante hat es nicht so mit Gewürzen. Auch mit dem Kaffee, den alle trinken, geben sie sich zu Hause nicht zu viel Mühe: Knappe zwei Liter werden direkt in einer orangefarbenen Plastikwanne angesetzt, wo der Kaffee vor sich hinziehend stehenbleibt, bis ihn jemand durch ein Teesieb in eine Kanne gießt. Diese Kanne kann man sich dann auf dem Gasherd erwärmen oder, noch profaner, becherweise in der Mikrowelle erhitzen. Und dann mit Unmengen flüssigem Süßstoff versetzt trinken, und das zählt wegen der H-Milch für die meisten Familienmitglieder hier als ein vollwertige Mahlzeit. Sie finden es etwas irritierend, dass ich - auch noch als Frau - zum Frühstück auch etwas außer Milch essen will. Vor allem aber will ich, wenn ich hier bin, in die Cafés gehen und die dortige Kaffee-Zeremonie genießen.

Samstag, 20. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [6]


Tag 6, Samstag, 20. Februar 2010: Feria Plaza Francia, Recoleta.
Mein Lieblingsziel an Wochenenden ist die Feria auf der Plaza Francia in Recoleta, um das Kulturzentrum und den berühmten Friedhof Recoleta herum. Beim Tango in diesem Kulturzentrum habe ich vor neun Jahren Percanto kennengelernt, und jeden Samstag und Sonntag ist hier "Feria", ein einmal rund um alle Wege des Parks aufgebauter Markt mit Hippiekram und Kunsthandwerk, dazu fliegende Händler mit "pan relleno" (gefülltem Brot), Empanadas, Obstsalat oder Getränken. In der Nähe des Eingangs zum Kulturzentrum sammeln sich die Gaukler, Handleserinnen und Tarotkartenleger, lebende Statuen und dieser ziemlich traurige Clown, der gegen "eine Spende, wie sie euch angemessen erscheint" Baby B einen orangefarbenen Luftballonhund überreicht hat.
Heute war nur die Hälfte der Stände belegt, von den übrigen hatten einige mit Wind und Regen zu kämpfen. Die Rasenflächen waren Matschfelder, so dass keine Studenten zum Mate-Trinken dort waren, nur unter den enormen Ästen der ausladenden Ombús standen Touristen und bolivianische Händler, um sich vor den Schauern zu schützen. Bei einer Peruanerin habe ich selbstgetrickte Fingerpüppchen gekauft (auch von ihr und ihrer Armada Strickpuppen gibt es Bilder, vielleicht an einem anderen, fotolosen Tag), so wie ich sie damals in Peru auch schon hatte, nur dass ich das Fingerpuppen-Kokodril dieses Mal direkt an ein tatsächlich existierendes Kind weitergegeben habe, der es freudig zerkaut hat. Den Händler von Fotografien von Buenos Aires habe ich beglückwünscht und beneidet (es muss irgendwo eine verlassene Bahnstation geben, die ein hervorragendes Motiv abgibt, und die Fotos von Leuten in Cafés! Hach!), wir haben zugeschaut und doch nicht ganz verstanden, wie man einen Gürtel flicht, dessen in fünf Streifen geschnittenes Lederband an beiden Enden geschlossen ist, haben dem Händler von relativ scheußlichen Halbedelsteininsekten beim Wiederaufbau seines vom Wind angehobenen Standes geholfen und mit dem Flötenverkäufer geplaudert, und B hat mit allen weiteren Kunsthandwerkern geflirtet, bis er vor Müdigkeit weinen musste. Mit dem von einem der wie immer plötzlich aus dem Nichts auftauchenden Schirmverkäufer erstandenen neuen Regenschirm sind wir dann auch halbwegs trocken wieder zu Hause angekommen, heute allerdings nur normaler Regen, leichter Wind und nun, um Mitternacht, etwas Abkühlung in Buenos Aires.

Mehr Fotos

Wenn Sie die täglichen Bilder aus Buenos Aires mögen, werden Sie diese Seite lieben: Daily Rome.
Rom Tag für Tag, Bild für Bild. Nicht nur für 40 Tage.

Fotos

(Wenn man auf die Fotos im Blog klickt, werden sie groß und man kann mehr erkennen. Übrigens.)

Freitag, 19. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [5]


Tag 5, 19. Februar 2010: Regen.
Die Argentinier haben eine gewisse Neigung zum Übertreiben. Sie haben, wie Ihr gesehen habt, eindrucksvolle Buchhandlungen, sie haben in ihrem Land alle Klimazonen, sie haben die südlichste Stadt der Welt (Ushuaia), sie haben die längste innerstädtische Straße der Welt (sagen sie jedenfalls, Avenida Rivadavia, etwa 35km und Hausnummer 1 bis um die 14.000), und die breiteste Straße (Avenida 9 de Julio mit 21 Spuren, mitten in der Stadt) haben sie auch.
Heute hatte ich bereits mittags eine Reihe Fotos zur Auswahl, zum Beispiel Zeitungsstand, Schuhputzer, Graffiti - doch dann kam Wind auf, die Wolken verdichteten sich und es begann zu regnen. Wenn es hier regnet, kann man ungefähr bis 100 zählen, spätestens dann stehen an jeder Ecke junge Mädchen oder dicke Männer mit den Armen voller Regenschirmen: "Hay paraguas, hay paraguas, paraguas...". So auch heute, ich hatte natürlich keinen Schirm dabei, dachte aber bei den ersten drei oder vier Händlern noch, so wild wird es schon nicht. Außerdem ist bei etwa 37° etwas Regen überaus erfrischend. Es donnerte fern, der Regen verdichtete sich, und schon ab dem fünften Händler brauchte ich keinen Schirm mehr, weil ich bereits vollkommen durchnässt war. Auf der Straße staute sich das Wasser und schäumte in Blasen auf, die Menschen stellten sich unter oder liefen wie ich gleich ohne jeden Schutz weiter, an den Kreuzungen standen die Leute in den Eingängen der Läden oder unter den Markisen, bis die Ampeln umsprangen und sprangen dann selbst über die breiter werdenden Ströme auf der Straße.
Einmal durchs Wasser gezogen kam ich in der Wohnung an, rettete die fortschwimmende Patientenliste vom offenen Fenster und zog mich um. Als ich mit Handtuch um den Kopf auf dem Sofa saß und Fotos sichtete, kam der Onkel nach Hause und stellte den Fernseher an. Mehr Regen. Unmengen von Regen im Fernsehen, zwei Viertel weiter: Die Straßen Flüsse, das Wasser ging den Leuten ohne Übertreibung bis zur Hüfte, sie wurden an über halbwegs sicheren Stellen gespannten Seilen über die Straßen geführt, damit die Strömung sie nicht mitreißt, Kinder wurden in Schlauchbooten über die Kreuzung gefahren, alte Damen von Feuerwehrmännern ans andere Ufer getragen. Schlauchboote auf der Avenida Santa Fe! Die Avenida Santa Fe ist zwei Straßenblöcke entfernt! Mein geheimer Journalisten-Geist erwachte, ich zog wieder meine nassen Kleider und Badelatschen an und zog nochmal mit der Kamera los. Leider ist die Avenida Santa Fe auch eine extrem lange Straße, und die Schlauchboote fuhren auf einem anderen, ziemlich weit entfernten und tiefer gelegenen Abschnitt, während bei uns langsam das Wasserfallrauschen in einen fast normalen Sommerregen überging. Inzwischen war in einigen Vierteln der Strom ausgefallen, die U-Bahnen, Züge und Busse fuhren nicht mehr und es war etwas spät, um noch zu Fuß bis nach Palermo und wieder zurück zu kommen, bevor Baby B ins Bett musste, also bin ich in einem weiteren Regenspaziergang in nassen Klamotten und der Kamera in zwei Plastiktüten nur noch einmal um den Block gegangen und habe meine Fotosafari abgebrochen. Sehr enttäuschend! Wenn es Wasser bis zur Hüfte gibt, ist ein bisschen Blasenregen ziemlich mau.
Die Wohnung ist inzwischen eine Art Rot-Kreuz-Camp, die Tochter des Onkels ist hier gestrandet und die Großmutter ist nach einer Odyssee mit Bussen mit Bugwelle und einem zwischenzeitlichen Asyl in einer Galerie, wo plötzlich das Wasser durch den Fußboden kam, auch bei uns geblieben. Ich habe für alle Spaghetti gekocht, und Percanto ist gerade nochmal mit Taucherbrille losgegangen, um Eis fürs ganze Lager zu holen. Wirklich abgekühlt hat es sich nämlich noch nicht.
Das verhältnismäßig harmlose Bild oben (menno) ist direkt vor unser Haustür aufgenommen, allerdings, was man nicht unbedingt denkt, mitten am Tag. Eine Serie von echten Überschwemmungsfotos gibt es bei der Zeitung El Clarín oder etwas eindrucksvoller im Moment bei La Nacion. (Die Zeitungen aktualisieren sich hier sehr schnell, möglicherweise stimmen die Links schon nicht mehr, wenn Ihr aufgestanden seid.)
Die Argentinier neigen zum Übertreiben. Buenos Aires ist für etwas 15ml Regen pro Stunde ausgelegt, aber heute haben sie es mit 80ml Regen pro Stunde geschafft, die Stadt im Handumdrehen in eine ausgedehnte Version von Venedig zu verwandeln, nur leider ohne Brücken.

Donnerstag, 18. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [4]


Tag 4, Donnerstag, 18. Februar 2010: Paseo la Plaza.
Heiß, sonnig, feucht. Wir waren schaukeln und Unmengen von Büchern kaufen, spanischsprachige Bilderbücher für B und argentinische Romane für mich. Was gestern im "El Ateneo" achselzuckend unter aussichtslos, völlig ausverkauft, keine Chance lief, haben wir schon im dritten Laden auf der Corrientes bekommen - und dank kompetenter Beratung ein Dutzend weiterer Bücher gleich dazu mitgenommen.
Nun wird hier nicht ständig nur gelesen, gegessen und getanzt; als die Enkel der Tante heute morgen zu Besuch waren, hat der Große (4) fast den ganzen Vormittag "Dibujitos" im Fernsehen geschaut, Zeichentrickfilme in einem separaten Cartoon-Kanal, der sich auch erstaunlich laut stellen lässt. Während B. schlief, habe ich mit dem anderen Baby hier gespielt und konnte schlecht ausweichen, am Ende war ich von den Dibujitos ganz wirr im Kopf. Was richtet das wohl erst in so einem Kinderkopf an.

Mittwoch, 17. Februar 2010

?

(Nur 40 Fotos mit Bildunterschrift und eventuelle Textchen separat? Oder Bild-Text-Einheiten und für 40 Tage entsprechend auch Einheitsüberschriften? Oder total egal?
Andere wichtige Fragen kurz vor Mitternacht: Wohin ist das Anti-Juck-Zeug verschwunden, das ich dringend auf die schwellenden Mückenstiche an den Knöcheln, auf dem Handrücken und unter den Fußsohlen schmieren möchte? Warum niest die Frau auf der anderen Seite des Innenhofs dauernd und wann hört sie damit auf? Und könnten die Leute über und unter uns sich nicht ein wenig mit der Musik abstimmen?)

40 Tage Buenos Aires [3]


Tag 3, Mittwoch, 17. Februar: "El Ateneo", eine imposante, die imposante Buchhandlung in der Avenida Santa Fe in Buenos Aires. Die Buchhandlung ist in einem prächtigen alten Theater untergebracht, unter der Decke ein rundes Fresko, Regale auf allen Rängen und im Parkett (ich stehe bei diesem Foto im alten Parkett, in der heutigen Sektion Lateinamerikanische Literatur), auf der Bühne zwischen den riesigen roten Vorhängen ein gut besuchtes Café, in den Logen sitzen Menschen und lesen.
Zwischen den Regalen laufen fast so viele Touristen wie Leser herum, und auch wenn der Laden sehr groß und dem ersten Anschein nach gut sortiert ist und sowieso für jeden Leser oder Nichtleser den Besuch wert ist, sollte man für Literaturwünsche abseits der ganz aktuellen Neuerscheinungen oder den Klassikern eher auf die Avenida Corrientes gehen. Dort reiht sich eine kleinere Buchhandlung an die nächste, viele (moderne) Antiquariate, viele mit einer wilden Mischung aus in Folien eingeschlagenen Schulbüchern, Esoterik und ambitionierter Literatur. Diese Läden haben den Charme von Garagen, die Fachrichtungen sind oft mit breitem Pinsel direkt an die rohen Wände gemalt, aber dort findet man die eigentlichen Schätze.


*
Es ist heute warm und sonnig, das verschwitzte Kind ist voller Locken, ich voller Mückenstiche.
*
Nachdem wir den Tag im wesentlichen zwischen der Avenida Santa Fe und Avenida Corrientes verbracht haben - da das von der Wärme erschöpfte Kind auf dem Weg zum Spielplatz eingeschlafen ist, haben wir Eltern den Mittagsschlaf in der Karre genutzt, um in besagte Buch- und Tangoschuhläden zu gehen - hören wir gerade in den Nachrichten, dass genau an der Ecke Corrientes / Callao eine Schießerei war. Wir haben nichts davon mitbekommen, es geht uns gut, überhaupt wirkt die Stadt zumindest in dieser Ecke eher entspannt, und die meisten Passanten lassen sich auf kleine Flirts mit Baby B. ein. Die Verkäuferin im Tangoschuhladen, der sich in einer Privatwohnung im 10. Stock eines normalen Wohnhauses befindet, hat B.s Herzchen mit ihrem attraktiven Dekolleté gewonnen, von dem er sich gar nicht mehr trennen wollte. Seiner flachbrüstigen Mutter, die ihn wieder auf den eigenen Arm nehmen wollte, hat er mit der freien Hand immerhin freundlich zugewunken.
*
In diesem multireligiösen Haushalt verbringt jeder den heutigen Aschermittwoch auf seine Art. Die enthusiastisch katholische Tante war mehrere Stunden in der Kirche, freut sich auf die Fastenzeit und hat mit dem jüngsten Sohn und der Nichte geschimpft, die vergessen haben, warum sie heute in die Messe gehen sollten. Der jüdische Onkel hält noch bis 23 Uhr seine Sprechstunde als Psychologe im hinteren Teil der Wohnung, und mein im Prinzip katholischer Ehemann schläft vor, um später noch zum Tangotanzen zu gehen.
*
Die katholische Tante und der jüdische Onkel haben nach der Messe eine kleine Diskussion über religiöse Rituale, Sakramente und Abendmahl. Die Tante schlägt vor, wenigstens gemeinsam zu Abend zu essen, denn wenn sie tot sind, werden sie in unterschiedlichen Himmeln sein und können sich nicht mehr sehen. Der Onkel schaut sie lange lächelnd an, streichelt ihre Hand und schlägt vor, wenn die Himmel getrennt seien, könnten sie sich ja einfach für die Hölle verabreden.

Dienstag, 16. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [2]


16. Februar 2010: Erst Tropenregen und Abkühlung, dann Nieselregen. Hier Plaza Libertad (Barrio Norte), wo Baby B die ersten Tauben seines Lebens jagte - und das erste Mal erleben musste, dass Vögel nach ein paar Runden zu Fuß einfach wegfliegen können. Sowas. Unding.

Montag, 15. Februar 2010

40 Tage Buenos Aires [1]


Tag 1: 15. Februar, Reise.

Sonntag, 7. Februar 2010

100 Bücher

Ein neuer Stock geht um im Bloggerwald, der 100-Titel-Stock.
Die Kaltmamsell hat ihn ausgefüllt, Frau Groener auch, und diese Beispiele sind würdig und recht. Wenn ich auch von vornherein sagen kann: Mit all den dort gelesenen Russen kann ich nicht mithalten. Nicht einmal mit den Manns.

Es geht um die 100 liebsten Bücher deutscher ZDF-Zuschauer, Erhebung ist aus dem Jahr 2004.
Die von mir gelesenen Bücher sind hervorgehoben.

1. Der Herr der Ringe, JRR Tolkien
Ich habe Der kleine Hobbit von selbigem Autor geschenkt bekommen, im Kinderbuchalter, und es furchtbar gefunden. Eines der ersten Bücher, die ich nicht zu Ende gelesen habe. Mit mir und Fantasy war noch nie was.
2. Die Bibel
Im Konfirmandenunterricht musste ich das Inhaltsverzeichnis auswendig lernen, ich habe sie nicht ganz komplett gelesen, aber doch sehr weitgehend.
3. Die Säulen der Erde, Ken Follett
Hat mein Bruder gelesen und im Urlaub mitgehabt, ich habe es dann auch gelesen. Futter. Nicht mein Fall.
4. Das Parfum, Patrick Süskind
Damals gelesen, gut gefunden. Auf Spanisch verschenkt.
5. Der kleine Prinz, Antoine de Saint-Exupéry
Natürlich. Und zu Schulzeiten fast auswendig gekonnt. Zur Hochzeit bekamen wir Eintrittskarten zum Kleinen Prinzen als Theaterstück. Das bisher einzige Stück, aus dem ich wegen Unerträglichkeit eher gegangen bin.
(Wind, Sand und Sterne fand ich schön und nicht so fabulesk.)
6. Buddenbrooks, Thomas Mann
Nicht mal im Studium, sondern irgendwann so.
7. Der Medicus, Noah Gordon
Auf Empfehlung meines ersten Lateinlehrers gelesen. Aber eigentlich Kategorie Säulen der Erde, oder?
8. Der Alchimist, Paulo Coelho
(brrr)
9. Harry Potter und der Stein der Weisen, JK Rowling
(Keinen Potter gelesen, aber ist das der erste? Die Verfilmung in Buenos Aires gesehen, 2001, und als wir aus dem Kino kamen, war draußen Revolution.)
10. Die Päpstin, Donna W. Cross
11. Tintenherz, Cornelia Funke
12. Feuer und Stein, Diana Gabaldon
13. Das Geisterhaus, Isabel Allende
Damals auf Deutsch, später auf Spanisch, wollte ich mit meinen Seniorstudenten machen, die dann nicht gekommen sind. Sicher das beste der Allende-Bücher, die später eine Tendenz zum Stereotypen haben. Das Magische riecht mir hier allerdings, anders als bei anderen Magischen Realisten, nach Kalkül.
14. Der Vorleser, Bernhard Schlink
Gut gefunden, allerdings fand ich die überraschende Wendung nicht überraschend und das Ganze darum nicht so spannend. Vielleicht noch mal lesen.
15. Faust. Der Tragödie erster Teil, Johann Wolfgang von Goethe
Im Leistungskurs gelesen, gut gefunden, meine Schülerzeitung Mephisto genannt und mit Zitaten gespickt.
16. Der Schatten des Windes, Carlos Ruiz Zafón
Hab ich in Valladolid gekauft, aber dann nur die ersten Seiten (des Originals) für eine Seminar-Analyse genutzt.
17. Stolz und Vorurteil, Jane Austen
Gelesen, aber vergessen. Bilder von Empire-Kleidern und Ungerechtigkeiten.
18. Der Name der Rose, Umberto Eco
Schmöker.
19. Illuminati, Dan Brown
20. Effi Briest, Theodor Fontane
Etliche Male begonnen, nie ganz ausgelesen. Mir fehlt immer noch der Schluss. Ach, Effi.
21. Harry Potter und der Orden des Phönix, JK Rowling
22. Der Zauberberg, Thomas Mann
Zu Schul- oder Studienzeiten angefangen, ich weiß nicht, was dann passiert ist.
23. Vom Winde verweht, Margaret Mitchell
24. Siddharta, Hermann Hesse
Im Religionsunterricht gelesen. Ich habe Hesse schon mit 15 nicht gemocht. Nein.
25. Die Entdeckung des Himmels, Harry Mulisch
Ja, ja, ja! Eines der Bücher, die ich (trotz der merkwürdigen Rahmenhandlung und des unbefriedigenden Schlusses) gefeiert habe. Weil alle Spuren und Skurrilitäten ihren Sinn bekommen. Ich wollte auch so eine Männerfreundschaft wie Onno und Max, (ok, das mit Ada war nicht in Ordnung), oder wenigstens wie Ada ihren großartigen Dialogen zuhören. Hat einen Platz bei den Lieblingsbüchern.
26. Die unendliche Geschichte, Michael Ende
Als Grundschülerin gelesen, gut gefunden. Trotz Fantasy. Dann musste ich - noch als Grundschülerin - mit der Schule den Film sehen und habe Michael Ende einen erbosten Brief geschrieben, in dem ich ihm erklärte, dass ein Film darüber, dass LESEN Phantasiewelten öffne, jawohl völlig verkehrt sei. Michael Ende hat mir geantwortet, mich im Brief gesiezt und mir in allen Punkten zugestimmt.
27. Das verborgene Wort, Ulla Hahn
Wollte ich eigentlich, fällt mir dabei auf.
28. Die Asche meiner Mutter, Frank McCourt
Gelesen und mich angemessen beeindrucken lassen. Hat mein Bild vom Katholizismus nach dem katholischen Kindergarten noch einmal nachdrücklich geprägt.
29. Narziss und Goldmund, Hermann Hesse
30. Die Nebel von Avalon, Marion Zimmer Bradley
31. Deutschstunde, Siegfried Lenz
(Ich schäme mich ein bisschen)
32. Die Glut, Sándor Márai
33. Homo faber, Max Frisch
Erst aus dem elterlichen Regal, dann Schullektüre. Beide Male gut.
34. Die Entdeckung der Langsamkeit, Sten Nadolny
Habe ich das im Zug gelesen oder spielt es in einem Zug?
35. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Milan Kundera
Gelesen, geliebt. Dann anderes Kunderas gelesen und bei jedem enttäuscht gewesen, es wurde immer kalenderspruchartiger. Aber geliebt habe ich ihn.
36. Hundert Jahre Einsamkeit, Gabriel Garcia Márquez
Klassiker, überbordend, voller Einzelgeschichten.
37. Owen Meany, John Irving
Ich habe viele Irvings gelesen und die meisten gemocht. Formel: Je weniger Bären, desto besser gefiel er. War gut, außer der Pointe aber verhältnismäßig viel vergessen.
38. Sofies Welt, Jostein Gaarder
Gehörte als Schülerin zu den frühen Lesern, es war damals glaub ich ziemlich aufsehenerregend, ich fand es gut - und den Schluss so blöd, dass ich richtig wütend war. Sollte ich nochmal reinschauen.
39. Per Anhalter durch die Galaxis, Douglas Adams
40. Die Wand, Marlen Haushofer
Beklemmend. Verbinde ich aus mir nicht ganz klaren Gründen mit einer Tante von mir.
41. Gottes Werk und Teufels Beitrag, John Irving
Auch einer der Irvings, die ich mehr gemocht habe. Keine Bären. Schöne Waisenkinderbenamung. Echte Konflikte.
42. Die Liebe in den Zeiten der Cholera, Gabriel Garcia Márquez
Empfehlung, wenn man es tropisch mag, und man kann der eigentlichen Geschichte viel besser folgen als bei den Hundert Jahren. Magischer Realismus etwas zurückgefahren.
43. Der Stechlin, Theodor Fontane
44. Der Steppenwolf, Hermann Hesse
(Schon der dritte Hesse hier, pah.)
45. Wer die Nachtigall stört, Harper Lee
(Was passiert dem eigentlich?)
46. Joseph und seine Brüder, Thomas Mann
Vielleicht. Ich weiß nicht. Schäm.
47. Der Laden, Erwin Strittmatter
48. Die Blechtrommel, Günter Grass
Ich mag den Erzähler nicht, glaube ich.
49. Im Westen nichts Neues, Erich Maria Remarque
Ich hatte ziemlich Respekt davor, und dann konnte man es sehr gut lesen - und es trifft.
50. Der Schwarm, Frank Schätzing
51. Wie ein einziger Tag, Nicholas Sparks
52. Harry Potter und der Gefangene von Askaban, JK Rowling
53. Momo, Michael Ende
Ja.
54. Jahrestage, Uwe Johnson
55. Traumfänger, Marlo Morgan
56. Der Fänger im Roggen, Jerome David Salinger
57. Sakrileg, Dan Brown
58. Krabat, Otfried Preußler
Ich kenne alle "kleinen" von ihm, den Wassermann, die Hexe, das Gespenst. Die großen Klassiker Krabat und Hotzenplotz nicht.
59. Pippi Langstrumpf, Astrid Lindgren
("Die Welt ist voller Sachen, und es ist wirklich nötig, dass jemand sie findet.")
60. Wüstenblume, Waris Dirie
Eher Sachbuch.
61. Geh, wohin dein Herz dich trägt, Susanna Tamaro
Damals geschenkt bekommen und gleich den Verdacht gehabt, dass es Kitsch ist. Ist es. Echt.
62. Hannas Töchter, Marianne Fredriksson
Weiß nicht mehr. Könnte nachgucken, aber das ist unsportlich.
63. Mittsommermord, Henning Mankell
64. Die Rückkehr des Tanzlehrers, Henning Mankell
65. Das Hotel New Hampshire, John Irving
(etwas viele Bären)
66. Krieg und Frieden, Leo N. Tolstoi
Mit den Russen habe ich zwei Probleme. Ich habe die, die im Winter spielen, in einer heißen Sommerhängematte begonnen. Das ging nicht.
Und ich habe nie verstanden, wer wer ist. Wer schon eingeführt, aber unter anderem Namen, und wer neu.
Und schließlich weiß ich dann nicht mal mehr, welches Buch von wem ist. Keinen der Langrussen gelesen, Drei Schwestern im Theater gesehen, Gogols Nase in der Schule gelesen und in Petersburg als Oper gesehen.
67. Das Glasperlenspiel, Hermann Hesse
68. Die Muschelsucher, Rosamunde Pilcher
Geschenk meiner klugen Großmutter, es hat uns damals wohl alle berührt - aber nur dieses erste. Wirklich.
69. Harry Potter und der Feuerkelch, JK Rowling
70. Tagebuch, Anne Frank
Ich habe in den frühen 10er-Jahren alles gelesen, was mit Juden zu tun hatte (und immer gehofft, in meiner Familie jüdische Wurzeln zu finden), und dieses Buch las ich mit Bangen und Sorgen. Entsetzlich traurig, aber auch mit dem Wunsch, so mutig zu sein und wenigstens eine Famile, ein Mädchen zu verstecken.
Und ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, ob es Anne wohl recht wäre, dass andere Menschen (ihr Vater, wir) lesen, was sie über Liebe und Küssen sagt. Den dringenden Wunsch gehabt, Tagebuch zu schreiben, aber mich auch nicht getraut.
71. Salz auf unserer Haut, Benoite Groult
Aus dem Bücherschrank meiner Mutter, ich war etwas jung und die Körperlichkeit fand ich peinlich.
72. Jauche und Levkojen, Christine Brückner
Ebenfalls aus dem Bücherschrank meiner Mutter. Viele Szenen und Sätze habe ich noch im Kopf, vor allem zu den Kindern von Maximiliane.
73. Die Korrekturen, Jonathan Franzen
Von Franzen kenne ich nur Schweres Beben. Gut, aber weniger begeistert als erhofft.
74. Die weiße Massai, Corinne Hofmann
75. Was ich liebte, Siri Hustvedt

76. Die dreizehn Leben des Käpt’n Blaubär, Walter Moers
Nicht gelesen, aber das wurde mir mal zu meinen üblichen Frühstückszeiten fast komplett im Radio vorgelesen. Darum halbfett.
77. Das Lächeln der Fortuna, Rebecca Gablé
78. Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran, Eric-Emmanuel Schmitt
Viel besser ja: Die Blusen des Böhmen von Robert Gernhardt!
79. Winnetou, Karl May
Als kleines Mädchen von Herrn H. ausgeliehen, der alle Karl-Mays auf dem Regal stehen hatte und dessen Sohn noch etwas klein war.
Ich habe ihn und meinen Vater dann aber etwas enttäuscht. Zwar habe ich Winnetou I gelesen, fand die Spannung aber künstlich und aufgebauscht - wenn es noch Band II und III gab, war schließlich klar, dass Winnetou überlebt. Mein Vater schüttelt noch immer den Kopf.
80. Désirée, Annemarie Selinko
81. Nirgendwo in Afrika, Stefanie Zweig
82. Garp und wie er die Welt sah, John Irving
Viele Ringer, Bärenzahl nicht erinnert, einer der guten.
83. Die Sturmhöhe, Emily Brontë
Siehe Jane Austen. Ich wollte es vor allem wegen der Symbolik lesen. Junge Mädchen müssen zerlesene Sturmhöhe in der Tasche haben. Ist aber nicht ganz aufgegangen.
84. P.S. Ich liebe Dich, Cecilia Ahern
85. 1984, George Orwell
86. Mondscheintarif, Ildiko von Kürthy
87. Paula, Isabel Allende
88. Solange du da bist, Marc Levy
89. Es muss nicht immer Kaviar sein, Johanns Mario Simmel
90. Veronika beschließt zu sterben, Paulo Coelho
91. Der Chronist der Winde, Henning Mankell
92. Der Meister und Margarita, Michail Bulgakow
93. Schachnovelle, Stefan Zweig
94. Tadellöser & Wolff, Walter Kempowski
Will aber!!
95. Anna Karenina, Leo N. Tolstoi
Siehe Krieg und Frieden, wobei mich hier die Geschichte interessiert.
96. Schuld und Sühne, Fjodor Dostojewski
(Mit Verlaub, das glaub ich den ZDF-Zuschauern nicht ganz. Nicht nur das.)
Siehe Krieg und Frieden, siehe Anna Karenina.
97. Der Graf von Monte Christo, Alexa
ndre Dumas
98. Der Puppenspieler, Tanja Kinkel
99. Jane Eyre, Charlotte Brontë
Oder hab ich das gelesen und nicht Jane Austen?
100. Rote Sonne, schwarzes Land, Barbara Wood

Haha, es wurde ja arg dünn zum Ende, und jetzt kenn ich ausgerechnet noch das hier, das letzte. Das hatte mein Doktorvater mal bei einer Seminarstombola gewonnen, wo ich selbst brasilianische Affenbrotbaum-Rasseln gewonnen hatte. Er fragte irritiert, ob das einer will, ich sah nur "Buch" und rief "ich!". Habs dann auch brav gelesen. Es steht im Regal "Krimis und Exotik" neben der Wüstenblume (s.o.) und Jenseits von Afrika. Mehr kann ich dazu nicht mehr sagen.

Kamera im Konjunktiv

Da habe ich mich ja endlich für eine Kamera entschieden - es wurde die Nikon D5000 mit einem 18-105 Objektiv - und habe damit den in dieser Woche gefeierten ersten Geburtstag unseres Söhnchens dokumentiert, um Ihnen hier mit ein oder zwei Symbolbildern einen anrührenden Text einzustellen.
Und nun kriege ich die Bilder nicht aus der Kamera.
Mein altersschwacher und babygebeutelter Laptop hat einen defekten Kartenleser, und die Übertragung funktioniert bei unklarar Fehlermeldung nicht. Sobald ich ein Bild habe, wird nachgereicht. Beim nächsten Geburtstag engagieren wir einen Zeichner.

Samstag, 6. Februar 2010

Halbes Schwein

Man merkt es Ju und Ja an, dass sie viel vorgelesen bekommen, viele Bücher angucken und dass ihre Eltern viel mit ihnen reden. Ihren Peter und der Wolf haben sie gut im Kopf, und auch die neuste Lektüre hinterlässt sichtbare Spuren, so zuletzt das wunderbare Bilderbuch Komm, Emil, wir gehn heim von Hans Traxler.
Beim Abendessen klärte mich Ju (3) auf: "Hühnchen kommt vom Huhn, die Wurst kommt vom Schwein und Fleisch kommt auch vom Schwein." Er dachte kurz nach. "Mami, essen wir auch Kühe?" Seine Mutter erklärte, dass ja, dass Menschen Tiere und so auch Kühe essen, Steak zum Beispiel käme von der Kuh, das sei Rindfleisch.
Ju nickte und wendete sich wieder an mich, "Steak kommt von der Kuh", informierte er mich. "Wir essen nämlich Tiere. Aber wenn wir ein Schwein essen, dann schneiden wir das vorher durch." Er dachte noch einmal nach. "Sonst quiekt das nämlich im Bauch."

Montag, 1. Februar 2010

Von der Symbolik des Raums

Bei der Arbeit wird, wie berichtet, gebaut. Ein glänzendes neues Zentrum für kleinere Geisteswissenschaften soll entstehen, in der Mitte zwischen den alten Gebäuden, hell, luftig, mit Bibliothek und Seminarräumen, mit Medienausstattung und Büros und an die alten Gemäuer angeschlossen. Für die Anschlusstelle wurde zunächst ein Teil unseres Gebäudes abgerissen und - zum Glück noch vorher - ein Teil der Mitarbeiter mitsamt ihrer Büros in andere Gegenden der Stadt ausgelagert.
Nun sollen die Kollegen ihre provisorischen Büros dort drüben wieder aufgeben, ein Teil soll in die alten, abgerissenen Trakte zurückkehren, ein anderer Teil die für uns bestimmten Räume im funkelnagelneuen Zentrum beziehen.
Das ist in vielerlei Hinsicht toll. Nicht zuletzt gibt es uns Geisteswissenschaftlern Gelegenheit nachzudenken, und dafür sind wir ja da. Nachdenken über den "spatial turn", über Lotmans Raumtheorie, über Bourdieus Überlegungen zum symbolischen Raum. Wir können uns noch einmal die Annahme vergegenwärtigen, dass Raum nie einfach gegeben ist, sondern produziert wird. Räume sind kulturell konstituiert und symbolisch aufgeladen. Natürlich spricht der König vom Balkon aus zu den Unter-Gebenen, wer eine Grenze übertritt, verlässt einen Raum und wird ein anderer, von der Beletage aus kann man bequem auf den Pöbel hinabblicken und die Büros im Hauptflur strahlen Prestige aus, Hauptflur, Hauptperson, während wir unter dem Dach, die wir in den alten Schwesternzimmern hausen, den Habitus von Dienstboten nicht recht ablegen können. Über all dies sollte man wirklich dringend öfter nachdenken, und unser weiser Arbeitgeber gibts uns Gelegenheit dazu. Dafür sind wir zu Dank verpflichtet.
Die ausgelagerten Kollegen haben also umgehend ihre Ersatzbüros aufzugeben, sie sollen zum 1. März das neue Zentrum beziehen.
Vielleicht möchten Sie sich ein Bild vom Zentru
m machen (die Fotos sind von heute Nachmittag, 1. Februar), dieses neue Herzstück unseres Arbeitsplatzes befindet sich genau hier:




Es ist immer schön, wenn man sich darauf verlassen kann, dass in so einem großen Betrieb alle Handlungen und Anweisungen miteinander koordiniert sind, dass die eine Hand stets weiß, was die andere tut.
Und in puncto symbolischer Raum unterstreichen die neu geschaffenen Büros natürlich aufs Vortrefflichste die Bedeutung, die den Geisteswissenschaften in der Gesellschaft zugemessen wird.