Montag, 21. Februar 2011

Kein Kavaliersdelikt

Diese Plagiatsgeschichte ist mir so wichtig, dass ich hier bisher nichts dazu gesagt habe und auch jetzt nichts zur Sache selbst - die mir sehr klar zu sein scheint - sagen will. Klingt wohl widersprüchlich. Aber mir ist die Angelegenheit so ernst, dass ich nicht mal Freude an den teilweise großartigen Wortspielen habe. Und es macht mich so wütend, die Sache selbst und viele der Reaktionen auch, dass ich inzwischen nur noch selektiv dazu lese (und das Gute bookmarke für unaufgeregtere Momente). Als bei Anne Will gestern in der Anmoderation gesagt wurde, darüber könne man diskutieren, sagten der Liebste und ich gleichzeitig "nein" und beschlossen, lieber einen Roman zu lesen (aber nicht Axolotl Roadkill).
Die Persönlichkeit des betreffenden Herrn und sein politisches Amt sind mir erst mal ziemlich egal. Es geht mir nur um die wissenschaftliche Leistung und die (faktische und moralische) Legitimation seines Titels. Ich wünsche mir eigentlich nur, dass die Uni (ein Gremium aus Wissenschaftlern auf Grundlage von Prüfungsordnungen und fachlichen Maßstäben, kein politischer Untersuchungsausschuss) ein ordentliches Verfahren in dieser Sache durchführt und dann die entsprechenden Konsequenzen zieht. Ohne politisches Geschiebe von der einen und Gezerre von der anderen Seite. Ohne Häme. Wenn dieses Verfahren entschieden ist, mag die Politik schauen, ob Urteil und bekleidetes Amt miteinander vereinbar sind. Das ist mir dann erst mal ziemlich egal. Wissenschaftliche Redlichkeit ist mir nicht egal. Plagiate sind mir nicht egal.
Ich habe letztes Jahr aus einem einzigen Seminar des Grundstudiums fünf junge Plagiatoren gefischt und ihnen Kurs, Prüfungsleistung und Punkte aberkannt. Wenn nun Nachsicht geübt wird aufgrund irgendeiner dieser mauen Ausreden, die nun in der Presse ebenso zirkulieren wie sonst in unseren Sprechstunden (Versehen. Vergessen, die Quellenangabe zu übertragen. Technischer Defekt. Nicht gewusst, dass man das nicht darf. So viel war das ja nicht. Hätte man ja auch selbst drauf kommen können. Irgendwo wurde doch irgendeine Angabe gemacht. So gut exzerpiert, dass es gar nicht mehr fremd erschien und dann irgendwie wörtlich in den Text geriet.*), wenn also diese Ausreden in diesem speziellen Fall, in dem alles ein bisschen größer und publiker ist, auf einmal ziehen und eine breite Grauzone eröffnen - dann stehen wir an der universitären Basis mit unserem ständigen Appell an die wissenschaftliche Redlichkeit ganz schön dumm da. Ich werde, egal wie diese Sache ausgeht, trotzdem zu meinen Maßstäben stehen. (Auch wenn ich sie dann mit jedem Studierenden neu ausdiskutieren muss.) Aber es würde dem, wofür die Universität meines Erachtens nach immer noch steht, nicht gerade dienen. Im Gegenteil.

(*bei uns bisher nicht gehört: die Ausrede "das ist doch alles nur politisch motiviert")

13 Kommentare:

  1. That´s it. Danke für den Text. Er trifft den Punkt aber sowas von hundertprozentig!

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  2. Aber er hat doch nur "vielleicht mal eine Fußnote vergessen" ;)

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  3. Auch mich interessiert seine politische Affiliation nicht; aber dass einer medial Adelstugenden propagiert und dann wissenschaftliche Integrität so leger handhabt, stößt mir schon auf.

    Danke für den Artikel.

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  4. Danke.
    @Muyserin mich stört auch sehr vieles, unter den vielen mich wütend machenden Reaktionen, die ich oben nannte, sind auch seine. Oh ja. Aber das versuche ich erstmal getrennt voneinander zu sehen, den Fall sachlich und ohne Ansehen der Person.

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  5. @Percanta, Ja, das ist auch gut so. Denn nur so wird eine Aufklärung möglich. Den Rest denkt man sich.

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  6. (Liebe Leser, die über Links hierher kommen und diesen Beitrag dann am Ausgangsort (Facebook, andere Blogs) kommentieren, wo ich es nur selten sehen kann: würde mich freuen, das auch hier zu lesen!)

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  7. oops, da hat das Netz wohl meinen Kommentar von heute morgen (via IPhone) verschluckt...

    Danke für Deinen Text, Percanta, auch mir als Nicht-Wissenschaftlerin ist es wichtig, dass wissenschaftliche Titel redlich verdient und unter moralisch einwandfreien Kriterien verliehen werden. Alles andere widerspricht doch dem Gedanken dahinter.

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  8. Merci für diesen Text. Das Traurige an der ganzen Affäre ist die große Selbstverständlichkeit, mit der dieser Betrug gehandhabt wird, die Lässigkeit, als wäre tatsächlich bloss ein "schlimmer Fehler" (Guttenberg gestern) einfach so passiert. Man kann zwischen dem Politiker und dem Doktoranden trennen, aber der Doktorand bleibt ein Betrüger, selbst wenn er tatsächlich wissenschaftliche Leistungen vollbracht haben sollte.

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  9. Schau mal, da hat die Ludwig-Maximilians-Universität in München reagiert:
    http://www.freitag.de/politik/1107-als-handle-es-sich-um-einen-kavaliersdelikt-..

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  10. Melanie, kannst Du den Link nochmal bringen? Da fehlt leider was.
    Danke!

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  11. Schwierig mit dem Link: Auf www.freitag.de unter Politik im Moment der erste Artikel.
    Danke, Melanie. Sehr gut!

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  12. dass ihm der doktortitel aberkannt wuerde, war doch recht voraussehbar; diese betruegerei als rein wissenschaftlich und "nicht die politik betreffend" abzutun, finde ich aber nicht richtig. - oder habe ich da jetzt etwas falsch interpretiert?

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  13. Queen of maybe:
    Dass sein Betrug DANN auch eine politische Konsequenz haben muss/sollte/wird, ist klar, das sehe ich auch so. Mir war aber wichtig, dass erstmal wirklich die Sachlage geklärt wird. Also dass eine Kommission der Uni klärt, ob und in welchem Umfang getäuscht wurde und ob man da Absicht nachweisen kann (das kann man meist, und alles, was aus seiner Arbeit bereits gezeigt wurde, legt diesen Schluss mehr als nah). Dass dieses Verfahren unpolitisch sei war mein Wunsch.
    Leider wurde von der Prüfungskommission der Titel zwar aberkannt, aber eben ohne diese Prüfung, ohne ein wissenschaftliches Gutachten, wie es bei einem solchen Fall angemessen und m.E. auch nötig wäre, sondern nur weil z.G. ihn ja eh "freiwillig" zurückgegeben hat. (Die Prüfungsordnung der Uni Bayreuth sieht diese Option (Titel selbst zurückgeben) übrigens nicht vor, schließt sie aber auch nicht aus, die Prüfungskommission durfte also wohl in dieser Grauzone so entscheiden.) Ärgerlich dabei: Dadurch entgeht z.G. dem Verfahren und es wird ihn mit keinem wissenschaftlichen Gutachten nachgewiesen, dass er (vorsätzlich) getäuscht hat. In Konsequenz kann er sich in Zukunft immer darauf zurückziehen, dass ihm ja kein Betrug nachgewiesen worden sei, sondern er den Titel *freiwillig* abgegeben habe. Und genau in diesem Sinne argumentiert Merkel ja jetzt schon. Das ist nicht sauber, und es ist ärgerlich.
    Natürlich betrifft sein Verhalten auch die Politik. Und natürlich ist jemand, der lügt und betrügt und seinen Lebenslauf massiv manipuliert etc. nicht in einer so wichtigen Position tragbar, und jemand, der seine Lügen und seinen Betrug erst vertuschen und dann für nicht so schlimm verkaufen will (es tue ihm "von Herzen" leid, aber dann sei auch mal gut), ist nicht mehr tragbar. Nicht zuletzt, weil man annehmen darf, dass er so auch in seinem Amt verfahren würde. Aber damit dieser Betrug als solcher nicht nur in den Medien dokumentiert wird und von den Betroffenen auch als von der Opposition inszenierte Kampagne verkauft werden kann, wäre es wichtig gewesen, ihn streng wissenschaftlich nachzuweisen, nach den Regeln des Betriebs, der ihm den Titel verliehen hat. Damit er sich nicht auf seine "Freiwilligkeit" (die einfach das Verfahren abkürzen sollte, aber natürlich auch eine gewisse Ehrenhaftigkeit suggerieren soll und eben ihm und seinen Unterstützern offen lässt, das Ganze als Schmutzkampagne darzustellen) zurückziehen kann. Eben auch, weil es politische Konsequenzen hat.

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